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Kolumbien: Natürliche Ressourcen als Hypothek für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern

Manuel Maultier
ssim

Ein Schild mit der Aufschrift “Urabá, tierra de paz y progreso” („Urabá, Land des Friedens und des Fortschritts“) begrüsst die Besucher*innen der Region Urabá im nordwestlichen Zipfel Kolumbiens, wo PBI seit über 25 Jahren präsent ist und ein eigenes Büro betreibt. Tatsächlich wurde in den letzten Jahren viel in die Region investiert. Ob Frieden und Fortschritt im "westlichen" Sinn in dem vom bewaffneten Konflikt stark getroffenen Gebiet jedoch wirklich eingekehrt sind, sei dahingestellt. 

Urabá – Eine Geschichte der Gewalt und Vertreibung

Urabá ist eine der am stärksten vom Konflikt betroffenen Regionen Kolumbiens. Aufgrund der fruchtbaren Böden und der Nähe zum Meer entwickelte sich Urabá zum wichtigsten Bananenproduktionsstandort in Kolumbien. Paramilitärische Gruppierungen im Dienst von Unternehmer*innen bekämpften linke Guerrillagruppen und ermöglichten eine Expansion der Bananenproduktion in Ländereien, die aufgrund des Konfliktes von den dort ansässigen Kleinbauern und -bäuerinnen unfreiwillig verlassen wurden. Berichten zufolge wurden mehr als 150'000 Hektar Land im Rahmen von paramilitärischen Operationen in Urabá enteignet, die auf der Grundlage von Gewaltstrategien wie Zwangsvertreibungen, selektiven Ermordungen, gewaltsamem Verschwindenlassen und Massakern versuchten, ein Entwicklungsmodell in dieser für den internationalen Handel grundlegenden Region durchzusetzen. 2020, 13 Jahre nach dem wegweisenden Urteil gegen Chiquita Brands Internationalwurde der Bananenproduzent und -exporteur Bananeras de Urabá S.A., die führende Bananenproduktionsfirma der Region, aufgrund der gleichen Vergehen verurteilt: Vertreibung von Landwirtschaft Betreibenden in der Region und Finanzierung paramilitärischer Strukturen. Als erste Konsequenz wurde die internationale Fairtrade-Zertifizierung des Unternehmens aberkannt, welches seine Bananen auch nach Europa exportiert.

Anhaltende Landkonflikte

Der Konflikt um natürliche Ressourcen hält auch heute noch an. Wälder werden gerodet um Mineralien zu fördern, extensive Viehwirtschaft, Palmöl- und Bananenplantagen zu erweitern. Die Organisation Comisión Intereclesial de Justicia y Paz (JyP) beispielsweise prangert die illegale Zerstörung von Ökosystemen durch Agrarfirmen im Tiefland von Urabá an. Die im Konflikt neutral positionierte und Gewalt ablehnende Bauern- und Bäuerinnengemeinschaft im Hochland von Urabá Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó verurteilt das aggressive Vorpreschen von Minenunternehmen und illegale Strassenbauten, um den Zugang in die mineralreichen Regionen zu ermöglichen. Beide von PBI begleiteten Organisationen betonen, dass paramilitärische Gruppen die Implementierung wirtschaftlicher Projekte unterstützen. Umstritten ist auch das grösste Hafenprojekt Kolumbiens. Im Golf von Urabá sollen gleich drei internationale Exporthäfen gebaut werden, die Durchführung der dem Bau vorhergehenden Studien – speziell die Umweltverträglichkeitsstudie und die notwendige Konsultation der lokalen Bevölkerung – wird jedoch bemängelt.

Herausforderungen für PBI

Für PBI stellt die Arbeit in der Region Urabá spezielle Herausforderungen dar. Die Intensität des Konfliktes bedarf einer permanenten Begleitung der Organisationen, hauptsächlich der Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó und der Comisión Intereclesial de Justicia y Paz, die unter anderem aufgrund ihres friedlichen Widerstandes gegenüber bewaffneten Akteuren regelmässig Drohungen erhalten. Die Topographie und fehlende Infrastruktur erleichtern die Begleitungen jedoch nicht; so ist man oft mit dem Maultier unterwegs, häufig auch zu Fuss, auf Motorrädern, in Jeeps oder Flussbooten. Kürzeste Distanzen bedeuten häufig eine Tagesreise in unwegsamem Gelände. Auch erfordert die Arbeit in einem Konfliktgebiet detaillierte Risikoanalysen, da es in der Region eine starke Präsenz paramilitärischer Strukturen gibt und zeitweise auch Guerrillagruppen in die Region eingedrungen sind, nachdem mit dem Friedensabkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und der ehemaligen Guerrilla FARC-EP in der Region ein Machtvakuum entstanden ist. Trotz diverser Herausforderungen und der aktuellen COVID-19-Pandemie passt sich PBI ständig dem wechselnden Kontext an. So wurden beispielsweise strikte Gesundheitsprotokolle erarbeitet, um auch in abgelegenen Regionen, wo der Zugang zum Gesundheitssystem nicht gewährleistet ist, Präsenz zu zeigen und die Organisationen bei ihrer Arbeit zu begleiten.

Manuel Müller, ehemaliger PBI-Freiwilliger in Kolumbien

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