Simone Droz
- Studium Internationale Beziehungen in Genf
- Projektmitarbeiterin im Genfer Zentrum für die demokratische Kontrolle der Streitkräfte (DCAF)
Welches Erlebnis hat dich am meisten geprägt während deiner Zeit als Schutzbegleiterin für PBI? Welche Erkenntnis nimmst du von deiner Zeit als Schutzbegleiterin für PBI mit zurück in die Schweiz? Glaubst du, dass die Erfahrung mit PBI eine nachhaltige Veränderung bei dir selbst bewirkt hat? Was ist in deinen Augen der wichtigste Verdienst von PBI in Kolumbien?
Hier in Kolumbien hab ich mich an eine Situation gewöhnt, die für in der Schweiz lebenden Menschen unvorstellbar ist. Es fällt mir schwer zu erklären, wie die Situation wirklich ist und wie die Dynamik des Konfliktes die Menschen beeinflusst und prägt.
Die ersten Monate musste ich mich an alles gewöhnen, denn die Logik und Regeln eines Landes im Konflikt waren mir ganz neu. Ich erinnere mich an die ersten Gerichtsverhandlungen, in denen ich gespannt Massenmördern zuhörte. Oft werden mit absurden Aussagen, die sich für einen Beobachter eher wie ein schlechter Witz anhören, Gerichtsfälle gewonnen. Zum Beispiel meinte ein Ex-Paramilitär (verantwortlich für über 300 Verschwundene) an einer Gerichtsverhandlung, dass alle Verschwundenen mit einer neuen Identität in einem anderen Land seien.
Neben der politischen Arbeit in Bogotá verbrachte ich auch viel Zeit in anderen Regionen, z.B. einen ganzen Monat im Sub-Team der Petrolstadt Barrancabermeja. Diese Stadt und die Region des Magdalena Medios faszinierte mich: die Hitze, die Raffinerien im Kontrast zur grünen Natur am Rio Magdalena und eine sehr komplexe Konjunktur geprägt durch Projekte multinationaler Unternehmen. Auf der anderen Seite die vertriebene Bevölkerung, die Präsenz verschiedener bewaffneter Akteure und die damit verbundenen täglichen Morde und Bedrohungen. Der Kontakt zwischen den Organisationen und der Bevölkerung vor Ort war faszinierend. Die Volontäre des Barrancabermeja-Teams bekommen die Konflikte viel näher zu spüren.
Wenn ich am Morgen in der Zeitung einen Bericht über ein Gerichtsurteil in einem der Fälle „unserer Anwälte“ lese und wenn mir die Begleiteten sagen, dass sie ohne uns schon lange ins Exil gegangen wären, wird mir bewusst, dass unsere Präsenz den Begleiteten erlaubt, wenn auch unter sehr schwierigen Kondition, weiterzuarbeiten. Der Kontakt mit unseren Begleiteten charakterisiert sich durch viel Vertrauen, entstanden durch die jahrelange Zusammenarbeit. In unserem Haus haben wir immer Visiten, Meetings und das Telefon ist 24 Stunden pro Tag und 7 Tage pro Woche auf Abruf.
Mir ist jedoch auch Bewusst, dass wir mit Ausnahmefällen arbeiten. Kolumbien bleibt nach wie vor ein Land mit 99% Straflosigkeit in Fällen von Menschenrechtsverletzungen. Hier leben wir in einer Situation von Skandalen, die zur Normalität werden. Obwohl wir von PBI jedoch nicht wie unsere Begleiteten bedroht werden, gewöhnen wir uns an die Dynamik des Landes und verhalten uns dementsprechend: immer wachsam, immer am Analysieren und Beobachten, immer in Alarmbereitschaft.
Die MenschenrechtsverteidigerInnen riskieren ihr Leben für ihre Arbeit. Die grösste Bedrohung kommt von Ex-Paramilitärs oder vom Staat direkt. Gleichzeitig ist aber auch der Staat für die Sicherheit der Bevölkerung verantwortlich und somit verpflichtet, gefährdeten Leuten Sicherheitsschemas zu bieten. Jedoch haben nur ganz wenige MenschenrechtsverteidigerInnen ein Sicherheitsschema (Bodyguard, schusssicheres Auto etc.). Ein solches Sicherheitsschema erhöht gleichzeitig auch das Risiko; zum einen weil die Schemas infiltriert werden und zum anderen weil die gesicherte Person dadurch viel erkennbarer ist. Ein Anwalt meinte einmal lachend, wenn alle, die in Kolumbien in ihrer Sicherheit bedroht sind, ein Schusssicheres Auto hätten, wären die Strassen voll von jenen Autos und der Staat bankrott.
Die Dynamik der Konflikte in Kolumbien ändert sich konstant und die Herausforderung für PBI ist es, die neuen Risikofaktoren zu erkennen und dementsprechend unsere Protektionsstrategien zu ändern. Im Gegensatz zur Dynamik des Konfliktes änderte sich die Sicherheitssituation für unsere Begleiteten während meines Jahres in Kolumbien nicht. Die Bedrohung geht weiter, täglich gibt es etliche Morde und Massaker. Obwohl ich PBI in kurzer Zeit verlasse, werde ich die Situation und die Menschen hier nicht aus den Augen verlieren, und vielleicht kehr ich sogar bald wieder zurück nach Kolumbien.
Vor der Abreise
Nach meinem Studium in Internationalen Beziehungen und Praktika in NGOs, habe ich vier Jahre Berufserfahrung in Internationalen Organisationen, dem World Economic Forum und dem Geneva Center for the Democratic Control of Armed Forces, sowie im Privatsektor erworben.
Ich habe mich für einen PBI Einsatz in Kolumbien entschieden, um auch eine andere Seite der Internationalen Zusammenarbeit kennen zu lernen: das Leben und die Arbeit auf dem Feld. Ich freue mich auf diese Herausforderung.