Michelle Zumofen
- Ethnologin
Nach der Rückkehr aus Kolumbien
Welches Erlebnis hat dich am meisten geprägt während deiner Zeit als Schutzbegleiterin für PBI?
Ich glaube am meisten geprägt hat mich der Monat, während dem ich die Möglichkeit hatte, anstatt in meinem eigentlichen Team Bogotá im Team Urabá auszuhelfen. Die Begleitung der BewohnerInnen der Humanitären Zonen von Curbaradó/ Jiguamiando und Cacarica sowie in der Friedensgemeinde von San José de Apartadó haben mich sehr beeindruckt. Denn dort ist der Konflikt sowie dessen komplexe Ursachen wie der Kampf um Land oder Ressourcen besonders nahe, während man in Bogotá oftmals weit weg vom eigentlichen Konflikt ist. Ein anderes Erlebnis hat mich ebenfalls sehr geprägt: eine Begleitung im Indigenenreservat Chaparral im Departament Casanare, bei der Gemeinde der U’was. Deren Verbundenheit mit ihren traditionellen Lebensformen und die Wertschätzung der Erde, auf der sie leben, bleiben mir tief in Erinnerung. Andererseits stimmt die stete Bedrohung multinationaler Unternehmen, die das Erdöl im an sich geschützten Territorium der U’was ausbeuten wollen und ihre Interessen auch mit Gewalt und der Hilfe der Paramilitärs durchsetzen, traurig und hat mich als Bürgerin eines europäischen Konsumlandes meine eigene Lebenshaltung hinterfragen lassen. Ganz klar aber haben mich die von PBI begleiteten KolumbianerInnen mit ihrem Mut im Kampf für die Menschenrechte stets sehr beeindruckt. Ich wünsche ihnen von Herzen, dass ihr Kampf in naher Zukunft einmal überflüssig sein wird, wenn in Kolumbien diejenigen grundlegenden Rechte Realität werden, die bei uns selbstverständlich scheinen.
Glaubst du, dass die Erfahrung mit PBI eine nachhaltige Veränderung bei dir selbst bewirkt hat?
Das Jahr mit PBI war intensiv, in jeder Beziehung. Einerseits arbeitet man ein Jahr lang in einem internationalen Team und lebt im selben Haus. Die Arbeit hört niemals auf, weder am Abend noch am Wochenende. PBI verlangt während diesem Jahr einen vollen Einsatz und die Präsenz während 24 Stunden von dir. Es ist schwierig, eine Privatsphäre und einen Ausgleich zur Arbeit zu finden. Da lernt man sich selbst und seine Grenzen unweigerlich kennen, lernt aber auch, auf sich und seine Bedürfnisse zu hören und diese auch ernst zu nehmen. Andererseits lebt man in einem Land, wo Gewalt und Krieg zum Alltag gehören und man nie weiss, wem man vertrauen darf. Man wird vorsichtig im Umgang mit Informationen oder Personen und lernt auf kleine Signale zu achten, um eine Situation richtig einzuschätzen. Jetzt zurück in der Schweiz schätze ich die Freiheit, die Sicherheit, den Frieden, den wir hier geniessen dürfen noch viel mehr als vor meinem PBI-Einsatz und weiss aber auch, dass all dies nicht selbstverständlich ist, sondern dass wir uns auch hier dafür einsetzen müssen, dass all dies erhalten bleibt.
Was ist in deinen Augen der wichtigste Verdienst von PBI in Kolumbien?
PBI ist in Kolumbien schon seit 1994 präsent und hat in all diesen Jahren ein grosses Kontaktnetz aufgebaut, ist aber auch den verschiedensten Behörden recht gut bekannt, was unsere Arbeit dort oftmals enorm erleichtert. Die von uns begleiteten MenschenrechtsvertreterInnen wissen genau, welche Auswirkung die Präsenz von PBI an ihrer Seite hat und dass ihre oftmals sehr gefährliche Arbeit nur möglich ist, weil ein “gringo” im weissen T-Shirt sie begleitet. Die kolumbianische Regierung legt sehr viel Wert darauf, international den Ruf des Landes zu verbessern, um ausländisches Kapital und auch Touristen anzulocken. Als internationale Organisation kann man genau auf dieser Grundlage einen gewissen Druck aufbauen und dies auch als Druckmittel z.B. in Sitzungen mit Armee, Polizei oder RegierungsvertreterInnen einsetzen. Oftmals hat die physische Begleitung von PBI aber auch eine wichtige emotionale Komponente: die MenschenrechtsverteidigerInnen fühlen durch unsere Anwesenheit, dass sie in ihrem Kampf nicht alleine sind, sondern dass es Menschen aus der ganzen Welt gibt, die sie unterstützen und an dieselben Ziele glauben. Dies gibt ihnen oftmals auch die nötige Hoffnung, um nicht aufzugeben.
Vor der Abreise nach Kolumbien
Wann geht’s endlich los? Ich kann es kaum erwarten, ein für mich bisher fremdes Land mit seinen Menschen sowie deren Träume und Hoffnungen kennenzulernen und aus nächster Nähe zu erfahren, weshalb sich der Konflikt in Kolumbien bereits über mehrere Jahrzehnte hinweg zieht.
Nach meinem Studium in Ethnologie und Staatsrecht sowie ersten Arbeitserfahrungen im Menschenrechtsbereich in der Schweiz bin ich froh, durch einen PBI-Einsatz vertiefte Auslandserfahrung sammeln und einen kleinen Beitrag zu einem wichtigen Projekt beitragen zu können.
Mit PBI habe ich ausserdem eine Organisation gefunden, mit deren Arbeitsweise ich mich identifiziere: durch das Prinzip der Nichteinmischung geht PBI davon aus, dass die Menschen an Ort am Besten wissen, was sie brauchen, um aus dem Konflikt herauszukommen. Ausserdem basiert die Arbeit von PBI auf Gewaltlosigkeit, was mich als Konzept fasziniert. Ich bin gespannt, wie sich diese Prinzipien in der Realität umsetzen lassen, und reise ohne Angst, aber mit grossem Respekt vor der Verantwortung nach Kolumbien.