
Gloria Orcué von der Organisation Comisión Intereclesial de Justicia y Paz und Carlos Morales von der Organisation Cahucopana waren auf Einladung von PBI auf einer mehrwöchigen Speaking Tour durch Europa. PBI Schweiz sprach mit Gloria Orcué über ihre Hoffnungen für die Zukunft der Arbeit der Menschenrechtsverteidiger*innen in Kolumbien im Kontext der aktuellen Präsidentschaftswahlen.
Goria Orcué ist aus der Region Cauca in Kolumbien und engagiert sich seit sie 19 Jahre alt ist für die Menschenrechte. Auslöser für ihr Engagement war ein Attentat auf ihren Vater, der sich damals als lokale Führungspersönlichkeit für die bäuerlichen und indigenen Gemeinschaften und deren Landrechte einsetzte. Seit fast 20 Jahren arbeitet die heute 56-jährige Aktivistin bei der Organisation Comisión Interclesial de Justicia y Paz (JyP). Es ist das erste Mal, dass Gloria Orcué für ihre Organisation auf einer Speaking Tour in Europa ist und dies mitten während den Präsidentschaftswahlen in Kolumbien. PBI Schweiz hat mit ihr über das Resultat des ersten Wahlganges gesprochen und welchen Ausgang sie sich erhofft.
Erster Wahlgang: Sieg für den Linkskandidaten Gustavo Petro
Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen am 29. Mai gewann der ehemalige Guerillakämpfer und frühere Bürgermeister Bogotás Gustavo Petro von der Coalición Pacto Histórico. Da jedoch keine absolute Mehrheit erreicht wurde, kommt es am 19. Juni zur Stichwahl zwischen ihm und dem zweitplatzierten Rodolfo Hernández. Der Unternehmern und politische Quereinsteiger war Bürgermeister von Bucaramanga (2016-2019) und ist Gründer der Liga de Gobernantes Anticorrupción (LIGA).
Mit Gustavo Petro und der Vizepräsidenschaftskandidatin Francia Márquez sieht Gloria Orcué eine reelle Chance, in einen Dialog treten zu können und wichtige Fortschritte im Bereich der Menschenrechte zu erreichen. Beide stehen für eine progressive Regierung. Im Falle eines Sieges von Rodolfo Hernández, der inzwischen auch als kolumbianischer Donald Trump bezeichnet wird, befürchtet sie eine Verschlimmerung der Menschenrechtslage. Einerseits habe er kaum politische Erfahrung, andererseits bestehe bei ihm der Verdacht auf Korruption und Wahlbetrug.
Stärkeres Engagement gefragt
Doch auch im Falle eines Sieges von Gustavo Petro: Gloria Orcué relativiert, dass die seit Jahrzehnten andauernden Probleme wie soziale Ungleichheit, das hohe Ausmass an Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen oder die Drogenbekämpfung nicht in vier Jahren gelöst werden können. Strukturelle Veränderungen und Reformen in der Politik seien dringlich nötig und auch Anpassungen im Bereich der Sicherheit, damit es zu einer entscheidenden Verbesserung in diesen Bereichen kommen kann. Zurzeit gehört Kolumbien zu den gefährlichsten Ländern der Welt für Menschenrechts- und Umweltaktivist*innen.
So oder so, ist sich Gloria Orcué sicher, wird das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen neue Herausforderungen für die Arbeit der Menschenrechtsverteidiger*innen bringen und eine grosse soziale Mobilisierung verursachen.
«Wir müssen uns politisch viel stärker engagieren, ganz gleich, wer Präsident wird. Wir werden entweder Unterstützungsarbeit für Petro leisten oder in politischer Opposition gegen Hernández stehen». - Gloria Orcué
Ob es einen historisch bedeutsamen Wahlsieg für Gustavo Petro gibt oder ob der reiche Populist Rodolfo Hernández die Wahl für sich entscheidet, wird sich am 19. Juni entscheiden. PBI ist vor Ort und begleitet Organisationen wie JyP, die im Zuge der Wahlen besonders gefährdet sind.
Weitere Informationen
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Kolumbien: Gloria Orcué und Carlos Morales kommen auf Speaking Tour in die Schweiz, 02.06.2022
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Veranstaltung Wahlen und Gewalt gegen Aktivist*innen in Kolumbien, 31.05.2022