Judith Huber
- Ethnologin
Nach der Rückkehr
Welches Erlebnis hat dich am meisten geprägt während deiner Zeit als Schutzbegleiterin für PBI?
Ich glaube nicht, dass man nach einem so intensiven Einsatz wie mit PBI sagen kann, dass es nur ein bestimmtes Moment oder Erlebnis gibt, welches einen prägt. Ich fand es immer sehr berührend und beeindruckend, was für einen Stellenwert die „lucha“, der Kampf für Gerechtigkeit, im Leben der Oaxaqueños hat. Ich denke, da haben der Konflikt und die massiven Menschenrechtsverletzungen von 2006 und 07 eine wichtige Rolle gespielt. Ebenso beeindruckend ist die Liebe zu Oaxaca, was sich im Essen, den Tänzen und Calendas (Strassenumzügen), sowie der Musik widerspiegelt: „Linda Oaxaca de mi alma, no quiero morirme sin volverte a ver“ - süsses Oaxaca meiner Seele, ich möchte nicht sterben, ohne dich noch einmal wiederzusehen.
Glaubst du, dass die Erfahrung mit PBI eine nachhaltige Veränderung bei dir selbst bewirkt hat?
Ein Jahr als Freiwillige ist eine sehr intensive und spezielle Erfahrung. Einerseits ist da die Arbeit – die physische Begleitung von bedrohten MenschenrechtsverteidigerInnen, die diplomatischen Gespräche mit RegierungsvertreterInnen, die Produktion von Publikationen, etc.- andererseits das Leben im international zusammen gewürfelten Team, alles unter einem Dach. Das ist ein 24 Stunden Job. Alles wird im Konsensverfahren entschieden und es gibt sehr wenig Privatsphäre. Ebenso werden Konflikte und Ängste im Team besprochen und gelöst. Ich habe gelernt, gut auf mich zu hören und alle möglichen Signale zu beachten und meinem Team voll und ganz zu vertrauen. Ebenso denke ich, dass ich gelernt habe, mir auch in komplizierten Zusammenhängen, schnell einen Überblick zu schaffen und systematisch aber auch spontan danach zu handeln. Der Ausdruck „es lo que hay“ – so ist es eben – hat sich im Team etabliert: egal was, wir machen weiter und schaffen das. Das und noch vieles mehr, habe ich mitgenommen aus meinem Jahr in Oaxaca.
Was ist in deinen Augen der wichtigste Verdienst von PBI in Mexiko?
Padre Solalinde, der in der Istmo Region von Oaxaca eine Herberge für MigrantInnen auf dem Weg in die USA betreibt und von PBI seit Juli 2010 begleitet wird, hat einmal zu uns gesagt, dass sich der mexikanische Staat keine Sorgen um die Meinung der eigenen Leute macht, sich jedoch vor der internationalen Meinung sehr fürchte. Wenn ich nun also nur ein bisschen dazu beitragen kann, dass eine mutige Anwältin, wie Alba Cruz von der Organisation Codigo-DH, sich für die Aufklärung und Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen (Folter, Verschwindenlassen, Mord, etc) der sozialen und politischen Konflikte von 2006/07 einsetzen kann, „nur“ weil ich sie mit meinem weissen T-Shirt zur Bundesstaatsanwaltschaft begleite, dann weiss ich, das die Präsenz von PBI wichtig ist, weil wir die Besorgnis der internationalen Gemeinschaft über die Situation der Menschenrechte und ihrer VerteidigerInnen sichtbar machen. Die internationale Meinung ist wichtig und hat politischen Einfluss. Ebenso lässt sie die Menschen vor Ort nicht die Hoffnung verlieren, weil durch Organisationen wie PBI sehr wohl wahrgenommen wird, welche Arbeit sie verrichten und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben.
Vor der Abreise
Was ist die grösste Motivation, dich ein Jahr lang als Schutzbegleiterin in einer Krisenregion zu engagieren?
Für mich hat es neben der konkreten Arbeit für die Durchsetzung der Menschenrechte und auch der gelebten Solidarität, viel mit dem Land zu tun, wohin ich gehen werde. Ich kenne Mexiko seit einigen Jahren und es zieht mich immer wieder dorthin zurück. Mein Wunsch, ein Jahr lang in einem spannenden Projekt in Mexiko zu arbeiten und den mexikanischen Alltag zu erleben, erfüllt sich nun mit dem PBI-Einsatz.
Warum hat dich das Konzept der Schutzbegleitung von PBI überzeugt?
Die Schutzbegleitung gefällt mir sehr, weil durch sie Raum für eigenständige und lokale Initiativen geschaffen und erhalten werden kann. Die internationalen Freiwilligen-Teams helfen mit bei der Durchsetzung von Menschenrechten und setzen sich international dafür ein, ohne sich jedoch in die Arbeitsweise der jeweiligen Organisationen einzumischen.
Auf was freust du dich am meisten, wovor hast du am meisten Respekt bei dem, was dich im kommenden Jahr erwartet?
Ich freue mich auf all die spannenden Menschen und Organisationen die ich kennen lernen werde, auf Oaxaca, auf mein Team, das mexikanische Wrestling, die Musik, etc.
Es stellen sich aber auch viele Fragen: Wie gehe ich mit schwierigen Situationen um? Wie reagiere ich auf interne Spannungen? Verkrafte ich es, so lange von meinen Liebsten getrennt zu sein? Aber es überwiegt die Freude auf die spannende Herausforderung.
In den Norden um jeden Preis. Pater Solalinde verteidigt die Rechte der MigrantInnen in Mexiko. / Ein anderer Blick auf die soziale Realität. Interview mit Judith Huber, ehemalige Freiwillige im PBI-Mexiko Projekt.
Vers le nord, à tout prix. Père Solalinde défend les droits des migrants au Mexique. / Un autre regard sur la réalité sociale. Interview avec Judith Huber, ex-volontaire du projet Mexique.