
Im Oktober besuchten die beiden kenianischen Menschenrechtsverteidigerinnen Jecinter Agunja und Florence Mwikali die Schweiz. An drei ereignisreichen Tagen sprachen sie über die zunehmende häusliche Gewalt, die sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt (SGBV) und die unterschiedlichen Formen von Unterstützung, welche Menschenrechtsaktivistinnen (WHRD) in Nairobi durch PBI erhalten.
Die Situation für Frauen ist in den informellen Siedlungen Nairobis häufig prekär: finanzielle Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Hygieneartikeln für Frauen, eingeschränkter Zugang zu Verhütungsmitteln, fehlende Informationen über Sexualität und Frauenrechte, Kinderheirat und Teenagerschwangerschaften und in einigen Fällen die weibliche Genitalverstümmelung. Ausserdem sind sie anfälliger für häusliche Gewalt, da die Familien sich einen Raum teilen und Frauen oft finanziell abhängig von ihren Männern sind. Während der Pandemie haben die Fälle von häuslicher Gewalt extrem zugenommen. Diese neue Sichtbarkeit lieferte wiederum Ansatzpunkte zur Bekämpfung von SGBV. Gemäss Jecinter und Florence ist es aber leider immer noch oft so, dass bei der Anzeige von Vergewaltigungen die Polizei dem Opfer die Schuld gibt oder aber das Urteil schlussendlich nicht vollzogen wird.
Erwartungen an die neue Regierung
Die beiden Frauenrechtsaktivistinnen wünschen sich deshalb sensibilisiertes und geschultes Personal, bei welchem man in einem abgegrenzten Raum Anzeige erstatten kann und welches vertraulich mit diesen Informationen umgeht. Weiter erhoffen sie sich von der neuen Regierung unter William Ruto, dass vermehrt staatlich finanzierte Unterbringungen angeboten werden, in welchen Opfern von SGBV und häuslicher Gewalt vorübergehend Unterschlupf gewährt wird. Wie sich die Wahl von Ruto auf die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger*innen auswirken wird, konnten die beiden noch nicht sagen, da dieser in seiner Wahlkampagne Menschenrechte nicht thematisiert hat und man nun, wie in Kenia üblich, 100 Tage abwartet, um dann die Arbeit des Präsidenten zu bewerten. Positiv überrascht beobachteten sie die friedliche Abwicklung der Wahl, welche in vergangenen Jahren stets zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und Protesten geführt hatte.
Der Beitrag des Toolkit for Women Human Rights Defenders-Programms
Jecinter Agunja ist eine der 15 WHRD, welche von PBI begleitet, geschult, vernetzt und somit physisch wie auch mental unterstützt werden. Dem Programm gehören momentan auch drei männliche Menschenrechtsverteidiger an - ein Zeichen dafür, dass die Gleichstellung von Mann und Frau ein kollektives Anliegen ist, nicht nur das der Frauen selbst.
Das Programm TWHRD wird in fünf informellen Siedlungen Nairobis angewendet, bietet aber auch Unterstützung auf nationaler und internationaler Ebene. Am TWHRD-Programm schätzt Jecinter besonders, dass
- die Teilnehmenden sich mit anderen WHRD offen und ehrlich austauschen können
- die Teilnehmenden Fälle abtauschen können, weil sie zur Zielscheibe für Gewalt werden, wenn sie am selben Ort arbeiten und leben
- es ein grösseres Netzwerk für verschiedenste Notlagen gibt: die Polizei kommt schneller, die Ambulanz fährt zu besseren Spitälern, Zugang zu juristischer Unterstützung, etc.
- Gewaltandrohungen oder -vergehen gegenüber WHRD systematisch erfasst und verfolgt werden
- man bei gefährlichen Einsätzen/Besuchen Begleitschutz erhält
- ihre Anliegen von staatlichen Beamten eher ernst genommen werden auf Grund des internationalen Drucks
- lehrreiche Trainings angeboten werden, bspw. zur Einschätzung von Gewalt oder zur Kommunikation mit den Bewohner*innen der Siedlungen
Zusätzlich betonte Florence Mwikali, Projektkoordinatorin bei PBI Kenia, dass die Pflege der mentalen Gesundheit ein wertvoller Teil des Programms darstelle und PBI sich darum bemühe die 15 Toolkit Organisers (TO), durch den vertrauten Austausch mit Gleichgesinnten zu bestärken und gleichzeitig zu entlasten.
Advocacyarbeit in der Schweiz
In Genf trafen sich Jecinter und Florence mit Vertreter*innen des Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, der Spezialverfahren des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte sowie der UNO-Arbeitsgruppe zur Diskriminierung von Frauen und Mädchen. Auch mit Mitarbeiterinnen der Abteilung für Frieden und Menschenrechte des EDA sprachen sie über die Situation der Frauen in Kenia und Möglichkeiten zur Unterstützung.
Mehr Informationen
- "Wir brauchen mehr Schutzhäuser", Beitrag von Jecinter und Florence bei Radio RaBe, 1.11.2022
- "Des élèves fribourgeois sensibilisés aux droits humains", Artikel und Podcast von Radio Fribourg, 21.10.2022
- Speaking Tour mit zwei kenianischen Frauenrechtsaktivistinnen, 26.11.2022
- Website des Toolkit for Women Human Rights Defenders
- Überblick des PBI-Kenia-Projekts
- PBI-News zu Kenia





