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Kolumbien: Nationalstreik dauert trotz brutaler Repression an

Begleitungen Kolumbien

Seit am 28. April zu einem landesweiten Generalstreik aufgerufen wurde, steht Kolumbien Kopf. Seither sind die Proteste gegen die Regierung nicht abgeflacht, im Gegenteil: noch immer gehen täglich Zehntausende auf die Strassen. PBI begleitet die Proteste, um die Einhaltung der Menschenrechte zu garantieren.

Weitreichende Forderungen der Demonstrierenden 

Auslöser der Proteste war ursprünglich eine Steuerreform, die vor allem die Mittel- und Unterschicht Kolumbiens stärker besteuert hätte. Die Reform, die inzwischen zurückgezogen wurde, war jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Die Proteste richten sich inzwischen mit weitreichenden Forderungen gegen die Politik der Regierung. Sie verlangen beispielsweise eine effektive Bekämpfung der Korruption, die Umsetzung des Friedensabkommens von 2016 zwischen der ehemaligen Guerrilla FARC-EP und der Regierung, LGBTIQ-Rechte, eine Gesundheitsreform und eine Abkehr von der Militarisierungspolitik.

Unverhältnismässige Polizeigewalt

Die polizeiliche Repression der Demonstrationen ist erschreckend. Seit Beginn des Generalstreikes sind 87 Personen gestorben, mindestens 28 durch Handlungen der Polizei, die auch Schusswaffen einsetzt. Fast 2000 Demonstrierende wurden verletzt, über 3000 festgenommen und 75 Protestierende sind noch immer verschwunden.[1] Verschiedene internationale Organisationen haben die Menschenrechtssituation und polizeiliche Repression angeprangert. Auch die interamerikanische Menschenrechtskommission zeigte sich nach einem Besuch in situ äusserst besorgt über die Situation und forderte die kolumbianische Regierung dazu auf, das Recht auf Protest zu respektieren und die polizeilichen Übergriffe zu untersuchen.[2]

Exzessives Vorgehen der Polizei ist in Kolumbien nichts Neues. Schon im letzten September wurden 13 Personen von der Polizei erschossen, paradoxerweise während Protesten gegen Polizeigewalt.[3]

PBI begleitet die Proteste fast täglich

Seit Beginn des Generalstreiks begleitet PBI die Proteste fast täglich, um die Arbeit verschiedener Menschenrechtsorganisationen zu ermöglichen, die ohne internationale Begleitung grossen Risiken ausgesetzt wären. In Bogotá beispielsweise wird das Comité de Solidaridad con los Presos Políticos (CSPP) und die Comisión Intereclesial de Justicia y Paz (JyP) begleitet, die Menschenrechtsverletzungen dokumentieren und eine neu eingerichtete Humanitäre Zone unterstützen. Die Humanitäre Zone wurde von den Demonstrierenden errichtet, um über einen sicheren Ort exklusiv für die Zivilbevölkerung zu verfügen.[4] In der Stadt Cali, eine Grossstadt im Südwesten des Landes, begleitet PBI die Organisation Asociación Nomadesc im Rahmen der Proteste. Dort ist die Situation besonders kritisch. Allein in dieser Stadt und Umgebung sind mindestens 58 Personen im Rahmen der Proteste gestorben, in mehreren Fällen wurde mit scharfer Munition auf die Demonstrierenden geschossen, sowohl seitens der staatlichen Sicherheitskräfte als auch seitens bewaffneter Personen in Zivilkleidung.[5] Insbesondere die Präsenz bewaffneter ziviler Personen, die trotz Anwesenheit der Polizei unbehelligt gegen die Demonstrierenden vorgehen, weckt düstere Erinnerungen an die Vergangenheit, als paramilitärische Gruppen auch in den Städten offen agieren konnten. In der Stadt Yopal begleitet PBI die Organisation COSPACC, die mehrere willkürliche Festnahmen dokumentiert hat und die Stigmatisierung der sozialen Proteste anprangert.[6] In Barrancabermeja bat die Organisation CREDHOS um internationale Begleitung. Erst kürzlich wurde CREDHOS Ziel von Einschüchterungen und Bedrohungen.[7]

Neue Herausforderungen

Für PBI sind die Begleitungen im Rahmen des Generalstreiks eine Herausforderung, denn mit der COVID-19-Pandemie ist alles noch viel unvorhersehbarer. Dekrete bezüglich Mobilitätseinschränkungen und Ausganssperren müssen berücksichtigt werden, überall stehen Strassensperren und das Benzin wird rationiert, da die Grundversorgung in Teilen des Landes nicht mehr sichergestellt ist. Auch die Sichtbarkeit von PBI muss jederzeit gewährleistet sein, was in chaotischen und unübersichtlichen Situationen nicht immer einfach ist. Trotz dieser Herausforderungen konnte PBI die Präsenz an den Demonstrationen in den letzten zwei Monaten jedoch aufrechterhalten und die Menschenrechtsorganisationen bei ihrer Arbeit in dieser wichtigen Zeit begleiten.

Manuel Müller, ehemaliger PBI-Freiwilliger in Kolumbien

Mehr Information


[1] https://defenderlalibertad.com/boletin-informativo-20-paronacional/

[2] https://www.elespectador.com/opinion/columnistas/leonardo-fabio-martinez-perez/los-derechos-humanos-en-colombia-nuevamente-en-alerta-roja/

[3] https://www.elespectador.com/judicial/muertes-del-9s-seran-investigadas-por-fiscales-de-derechos-humanos-article/

[4] https://www.justiciaypazcolombia.com/informe-espacio-humanitario-al-calor-de-la-olla-siete-personas-heridas-diez-detenidas-es-el-resultado-de-la-represion-policial/

[5] http://www.indepaz.org.co/victimas-de-violencia-homicida-en-el-marco-del-paro-nacional/

[6] https://twitter.com/CospaccOficial/status/1410696682422030339

[7] https://www.omct.org/es/recursos/llamamientos-urgentes/colombia-amenazas-de-muerte-contra-las-organizaciones-credhos-fedespan-y-aguawil