Nuria Frey (1987)
- Einsatz mit COMUNDO in Peru, 2017-2020
- Bachelor of Sciences in Geosciences (Universität Basel)
- Master of Science in Geography (Universität Bern)
40 Jahre PBI
Zurück von einem unvergesslichen Jahr in Honduras
Als ich vor einem Jahr die Schweiz in Richtung Mittelamerika verliess, hatte ich trotz intensiver Vorbereitung noch keine klare Vorstellung, was mich mit PBI im Feld ganz konkret erwarten würde. Aus der vorweihnachtlichen Schweiz direkt ins tropisch-warme Tegucigalpa und der Eintritt in ein kleines Team, waren eine ziemliche Umstellung für mich: Begleitungen, Beobachtungen, 24-Stundenbereitschaft, regelmässige Sitzungen mit Behörden und dem diplomatischen Corps, Leben und Arbeiten mit dem Team im gleichen Haus, stetige Analysen des sozio-politischen Kontexts und der Sicherheitslage, sowie interne Verwaltungsarbeiten, z.B. Buchhaltung in Spanisch. Doch schon bald gewöhnte ich mich an den neuen Kontext und die PBI-Arbeit.
Ein spezielles Jahr
Mein Jahr in Honduras war geprägt von vielen Notfällen und einigen traurigen Situationen: Paola Barraza, Koordinatorin der Transfrauen-Gruppe von Arcoíris, einer LGBT-Organisation, welche von PBI begleitet wird, wurde ermordet (siehe hier).
Wenige Tage danach wurden Mitglieder der indigenen Organisation MILPAH, welche indirekt von PBI begleitet wird, attackiert und bedroht. Dies aufgrund ihres Einsatzes gegen zwei unrechtmässig bewilligte Staudammprojekte auf ihrem Territorium. Unter ihnen war auch Ana Mirian Romero, die spätere Gewinnerin des Front-Line-Defenders-Preises. Romero und ihre Kollegen wurden wiederholt mit dem Tod bedroht oder gar attackiert.
Und dann geschah im März 2016 die Ermordung von Berta Cáceres, der wohl bekanntesten MRV aus Honduras. Zum Zeitpunkt der Tat war Gustavo Castro, ein mexikanischer Bekannter Cáceres anwesend. Er wurde Zeuge des Mordes und danach unrechtmässig festgehalten. In der Folge begleiteten wir vorübergehend COPINH, die von Cáceres mitgegründete Lenca-Organisation und beobachteten mehrfach gewaltsame Repressionen an von COPINH organisierten Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen.
Ein weiterer denkwürdiger Moment war der Besuch im Rahmen einer unserer Publikationen bei Kevin Ramírez, der sich im Nordwesten des Landes gegen Staudammprojekte wehrt und deswegen massivste Drohungen gegen ihn und seine Familie erfährt (seinen Fall dokumentieren wir hier in Englisch und Spanisch).
Ebenso beindruckte mich unsere begleitete Journalistin Dina Meza, welche unter anderem Studierende in ihrem Kampf für Demokratie an den Universitäten unterstützt. Aufgrund ihrer kritischen Onlinezeitung, in welcher sie für die Meinungsfreiheit einsteht, erhält sie viele Bedrohungen.
Und schliesslich der Abschied von der Frauenrechtlerin Gladys Lanza, welche im September 2016 nach einer Krankheit verstarb und die wir seit Juli 2015 begleitet hatten.
Dieses Jahr war jedoch auch voller fröhlicher und lustiger Momente mit unseren Begleiteten und dem Team, das sich im Laufe des Jahres stark vergrösserte mit Personen aus Lateinamerika, Nordamerika und Europa. Die kulturelle Vielfalt unseres Teams erlebte ich als grosse Bereicherung, nicht nur in kulinarischer Hinsicht! Ein schönes Erlebnis war auch, in den Ferientagen die Nachbarstaaten von Honduras zu erkunden.
Rückkehr in die Schweiz
Vor wenigen Wochen beendete ich meinen Einsatz mit PBI und kehrte zurück aus der tropischen Wärme in die vorweihnachtliche, kalte Schweiz. Der Abschied von Honduras, den Begleiteten und meinem Team fiel mir nicht leicht, waren sie mir doch alle in diesem Jahr ans Herz gewachsen. Wieder zurück in der Schweiz, verspüre ich eine grosse innere Zufriedenheit über mein Einsatzjahr in Mittelamerika und viel Dankbarkeit, dass ich diesen bewundernswerten MRV begegnen und ihnen durch unsere Begleitungen ein paar unbeschwerte Momente geben konnte. Ihr Mut und Wille, sich trotz aller Bedrohungen für eine gerechtere Zukunft einzusetzen, haben mich sehr beeindruckt und inspiriert und werden mir in Erinnerung bleiben. Rückblickend denke ich, dass dieses Jahr mit PBI in Honduras eine meiner besten bisherigen Lebenserfahrungen war.
Vor der Abreise: "Solidarität ist notwendig - mehr denn je"
Am 10. Dezember 2015 wird Nuria Frey als PBI-Freiwillige nach Honduras reisen. Um Freunde und Verwandte über ihren zukünftigen Einsatz zu informieren, hat sie ein Abschiedsfest veranstaltet. Als Praktikantin von PBI-Schweiz sass auch ich, Lisa Stalder, im Publikum und verfolgte die Berichte über die Freiwilligenarbeit bei PBI, das Projekt in Honduras und Nuria Freys Beweggründe, sich für den Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen in Honduras zu engagieren.
Rund 40 Personen sitzen gedrängt im Saal in der Villa Stucki in Bern, wo Nuria Freunde, Familie und Interessierte über ihre zukünftige Arbeit mit PBI in Honduras informiert. Nach einer kurzen Einführung durch Katia Aeby, Freiwilligenbetreuerin von PBI-Schweiz, stellt Nuria dem Publikum einige Eckdaten zu Honduras und dem Projekt, in welchem sie mitarbeiten wird, vor. Sie spricht von politischen Spannungen wie den Bürgerkriegen in den Nachbarländern, die zwar nicht auf Honduras überschwappten, jedoch unter anderem viele Waffen im Land in den Umlauf brachten, vom Militärputsch 2009, der gravierende Menschenrechtsverletzungen nach sich zog, von den Mega-Infrastrukturprojekten, welche Kleinbäuerinnen und Kleinbauern von ihrem Land vertreiben, von den Sonderwirtschaftszonen, die ausländische Staaten im Land etablieren und von den zahlreichen Umweltproblemen. Aber das Land hat auch seine schönen Seiten: zum Beispiel eine sehr grosse Artenvielfalt und das zweitgrösste Korallenriff der Welt.
Für soziale Gerechtigkeit einstehen
Was hat sie, Nuria, dazu motiviert, für ein Jahr nach Honduras zu gehen und sich dort für den Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen einzusetzen? Sie sagt, dass für sie «die Frage nach sozialer Gerechtigkeit sehr früh zentral geworden» sei. Als sie als kleines Kind mitbekam, wie eine befreundete Familie vor dem Jugoslawienkrieg fliehen musste, fragte sie sich, weshalb nicht alle Kinder und Menschen die gleichen Rechte und Chancen im Leben haben. Heute sei sie zudem «der festen Überzeugung, dass Solidarität mehr denn je notwendig ist». Doch ist es nicht nur der Wille, andere Menschen zu unterstützen und Solidarität zu zeigen, der sie antreibt. Nuria findet auch, dass «das Thema Menschenrechte ein sehr spannendes und vielseitiges Gebiet ist».
Ist die Arbeit gefährlich?
Nach dem eindrücklichen PBI-Dokumentarfilm Tierra del Maíz erzählt die ehemalige Freiwillige Valérie Elsig vom Arbeitsalltag, dem Zusammenleben in einem internationalen Team und der Unmöglichkeit, Arbeit und Freizeit zu trennen. So können sich alle ein gutes Bild machen, was Nuria in den kommenden Monaten erwartet. Aus dem Publikum kommt die Frage, ob denn die Arbeit nicht gefährlich sei. Ja, die Arbeit der PBI-Freiwilligen beinhaltet schon ein gewisses Risiko, doch wird sehr grosser Wert auf Sicherheit gelegt. Jede Situation wird ausgiebig analysiert und das Risiko jeder Begleitung gründlich abgeklärt. Zudem arbeitet PBI mit den Behörden vor Ort zusammen und informiert sie über das Vorgehen.
Empathie und Offenheit
Beim Apéro wollen viele noch persönlich mit Nuria sprechen. Auch ich möchte ihr noch eine kurze Frage stellen: Welche Eigenschaften und Fähigkeiten muss man mitbringen, um als PBI-Freiwillige MenschenrechtsverteidigerInnen stärken zu können? «Man muss zuhören können», sagt Nuria, «man braucht Einfühlungsvermögen, sowie die Fähigkeit, komplexe Situationen zu verstehen, Offenheit gegenüber fremden Kulturen, anderen Leuten und man muss sich stets in ihren Kontext versetzen können». Damit entlasse ich sie zum Buffet (oder zur nächsten Person, die sich mit ihr unterhalten will).
Galerie
Ein Tag mit PBI in Genf / Heimkehr: Der schwierigste Moment des PBI-Einsatzes: Interview mit den RückkehrerInnen Tanja Vultier und Nuria Frey.